Einst Wohnung, jetzt ein Schauraum: Graffiti-Ausstellung bei „Z9A“.
Nur ein kleines Schild trennt in diesem Fall den Galeriebesuch vom Hausfriedensbruch.
„Z9A“ steht darauf, ein Kürzel für die Adresse „Zanggasse 9A“ und zugleich der Name
der neuen Mainzer „Galerie für aktuelle Kunst“. Das Schild kennzeichnet die schwere
Holztür eines angeschlagen dastehenden Altbaus. Eintritt erlaubt.

Im Zwei-Wochen-Takt:
Hinein in den kleinen Hof, die ausgetretenen Holzstufen hinauf in den ersten Stock.
Im Hinterhaus steht die Tür offen zu „Z9A“: ein Flur, ein großer Wohnraum, ein Zimmer
mit Kühlschrank, überall Holzboden. 20 Jahre hat Dietmar Müller in dieser Wohnung gelebt.
Jetzt ist er ins Vorderhaus gezogen. Und hat aus seiner alten Wohnung eine Galerie
gemacht. „Eine Produzenten-Galerie“, fügt er hinzu. Im Zwei-Wochen-Takt lädt er
befreundete Künstler hierher ein, im Winter will er eigene Sachen vorstellen.

Dietmar Müller ist Musiker, Grafiker, Künstler, aber kein Galerist. Zumindest nicht unter
existenzsichernden Aspekten. Leben kann er von „Z9A“ nicht. Die Gründe für die Eröffnung
liegen woanders. „Seit die Walpodenstraße und das Signalwerk geschlossen haben, gibt es so
gut wie nichts mehr für die alternative Mainzer Kunstszene“, sagt Müller, der auch schon in
der Walpodenstraße aktiv war. „Und es lohnt sich finanziell auch überhaupt nicht.“
Entsprechend haben ihm Freunde, auch Professoren der FH, von der Idee abgeraten.
Trotzdem gibt es die Galerie seit Mai. Und es gibt gerade eine neue Ausstellung dort.

Einen Graffiti-Künstler hat sich Müller in die Wohnung geholt – und damit dem in
Mainz so heiß diskutierten Thema eine legale Fläche geboten. Der Mann, der bei ihm ausstellen
darf, zählt sich zur alten Schule der Mainzer Sprayer: Daniel Otto (31) hat 1986 mit Graffiti
angefangen. Seine Biografie ist sprayertypisch: Mit 14 Jahren fängt Otto an, der Welt
Botschaften seiner Existenz zu hinterlassen. Sein „tag“ landet auf allen Flächen, die er
erreichen kann. Er lernt mit der Dose zu malen, der Untergrund bleibt illegal: Wände, Tunnel,
Züge. Für ihn sei es keine Mutprobe gewesen, sondern ein Dialog mit dem Publikum.
Es folgt die Konfrontation mit der Justiz. Nachdem er Graffiti wiederholt auf Züge gesprüht hat,
wird er mit 20 Jahren verurteilt. Sozialstunden und Jugendarrest: „Das war eigentlich ganz witzig“,
sagt er, und dreht sich eine Zigarette. Sein Galerist sagt dazu: „Im Spannungsfeld zwischen
Anarchie und Galerie entschied sich Daniel Otto Mitte der 90er für die Galerie.“ Der Mainzer
begann, Leinwände zu gestalten.

„Z9A“ gibt mit der Schau „hin zum Licht“ einen schnellen Überblick über Ottos Arbeiten.
Im Treppenhaus und in der Wohnung hängen mittelformatige Bilder in bunten Farben, die im
Dunkeln zu leuchten beginnen – wenn Schwarzlicht auf sie fällt. „Ich möchte die Leute entrücken“,
sagt Otto. „Meine Arbeiten gehen in eine psychedelische Richtung.“ Er macht einen entspannten
Eindruck, als er das sagt.
Das Bild passt zu der neuen Galerie, die an drei Tagen in der Woche auf Besucher wartet.
Dabei ist der Besuch in der ehemaligen Wohnung genauso unprätentiös wie der Zugang: Mit
etwas Glück liegt im Kühlschrank sogar ein Bier kalt.

Andrea Mertes, 17. Juni 2003 Rhein-Zeitung, Mainz